Wirtschaftswoche: Tech Cold War and Innovation

Thomas Ramge and Ansgar have published an article in Wirtschaftswoche, a weekly economic magazine in Germany. The article asks the question if a new Cold War could trigger a similar wave of “deep tech” innovation as the first Cold War did.

Read the article here in German.

Ein neuer Kalter (Tech-) Krieg

Supercomputer sind die Weltmeisterschaft der IT-Branche. In regelmäßigen Abständen vermelden Teams aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen neue Rekorde bei der Anzahl der Rechenoperationen pro Sekunde. Zurzeit hat das amerikanische „Frontier“-Team von Hewlett Packard Enterprise und Cray die Nase vorn. Frontier schafft mit rund neun Millionen Rechenkernen mehr als 1,1 Exaflops pro Sekunde, mehr als eine Trillion Rechenoperationen. So lassen sich neue Materialien entwickeln, Wirkstoffe für Medikamente entdecken, Klimaveränderungen modellieren und Finanzmärkte vorhersagen – natürlich nicht perfekt, aber besser als mit langsameren Rechnern. 

Schade für die Zuschauer dieses Superrechner-Wettbewerbs ist: Die WM findet seit einigen Jahren ohne China statt. Zumindest offiziell. Die Chinesen veröffentlichen keine Daten zur Leistungsfähigkeit ihrer Superrechner. Branchenexperten vermuten, dass in China mindestens drei Exascale-Systeme laufen. Ob sie schneller sind als Frontier, weiß im Westen niemand. Die Haltung des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping ist hingegen kein Geheimnis: „Technische Innovation”, so Xi vor zwei Jahren auf einem Wissenschaftskongress, „ist das wichtigste Schlachtfeld im großen internationalen Strategiespiel.” Die Förderung von Innovation ist der rote Faden aller ökonomischen Entwicklungspläne Chinas, mit offenkundigen Erfolgen: 5G-Netzwerktechnik, Solarpaneele, Batterien, Elektroautos, Künstliche Intelligenz und Quantentechnologie.

In den USA werden diese Fortschritte mittlerweile sehr ernst genommen, vor allem weil viele der Technologien auch im militärischen Bereich relevant sind. Das Stichwort lautet military-civil fusion (MCF). Jack Sullivan, Präsident Joe Bidens Berater für nationale Sicherheit, verkündete vor einem Jahr bei der Vorstellung der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie einen Paradigmenwechsel. Es reiche nicht mehr, in der Technologieentwicklung etwas schneller zu sein als China. „Wir müssen Chinas technologischen Fortschritt so weit wie möglich eindämmen.” Aber wie? Amerikas Antwort lautete zunächst: Exportverbote für amerikanische Hightech-Güter, die Chinas Aufstieg beschleunigen könnten - für Chips und Maschinen zur Produktion hochwertiger Halbleiter. 

Die Boykott-Strategie scheint nicht aufzugehen. Eher im Gegenteil. Angestachelt vom Chipmangel, machen Chinas Chipentwickler große Sprünge nach vorne. Im Gegensatz zu früheren Subventionierungsrunden, die wenige Ergebnisse produzierten, aber einige Korruptionsskandale, ist nun „Druck auf dem Kessel”. Boss Dai, ein führender Technologie-Blogger in China, bezeichnet den Chipmangel durch US-Sanktionen als „einmalige Gelegenheit” für die chinesische Halbleiterindustrie. 

Die Regierung Biden verschärft die High-Tech-Sanktionen, setzt aber zunehmend auch auf Stärkung heimischer Innovatoren: Die zweite Antwort auf chinesische Innovationserfolge ist sehr viel Steuergeld. Allein 52 Milliarden Dollar fließen seit 2022 über den Chips & Science Act in die amerikanische Halbleiterindustrie. Und aus dem Fördertopf des „Inflation Reduction Act“ (370 Milliarden Dollar) geht ein großer Teil in grüne Hoch-Technologien. Viele Subventionsprogramme sind so geschnitten, dass sie zusätzliche private Investitionen ermutigen wollen. Wirtschafts- und Umweltpolitik trifft Geopolitik. Und im Zentrum steht Innovation. Das erinnert an die 1950er-Jahre.

Der Sputnik-Schock, das Wettrennen zum Mond, die „Missile Gap“, SDI: Der Kalte Krieg war auch ein teurer, teils verschwenderischer Technologie-Wettbewerb - mit positiven Nebenwirkungen. Der Systemwettbewerb war gut für Sprunginnovationen, also radikal bessere Technologien. Ohne die Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion hätte vermutlich weder die Mikroelektronik noch die Lasertechnologie so schnell Fahrt aufgenommen. Das Silicon Valley war in der Anfangsphase vor allem Empfänger militärischer Großaufträge. Technologie aus Kampfflugzeugen diffundierte in die zivile Luftfahrt. Der systembedingte Wettlauf ins All brachte Satelliten hervor, die heute unsere Navigationssysteme leiten. Hätten die Pioniere des vom US-Militär finanzierten ARPA-Netzes nicht das TCP-IP-Protokoll erfunden, gäbe es womöglich heute kein Internet. Im Kleinen war der Innovationswettbewerb auch im geteilten Deutschland zu beobachten. Die DDR arbeitete an ihrer Farbfernseherquote. Die westdeutsche Autoindustrie wollte den ostdeutschen Kollegen zeigen, wer kilometerweit vorausfährt.

Früchte des Zorns? 

Es ist denkbar und wünschenswert, dass der neue geopolitische Wettbewerb technologische Neuerungen begünstigt. Ein Indiz: Der „Input“ in das Innovationssystem steigt deutlich. In den beiden vergangenen Jahrzehnten haben sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung inflationsbereinigt weltweit in etwa verdreifacht. Mehr Output wäre hoch willkommen. Denn so richtig viele Durchbruchsinnovationen sind in den jüngsten Jahrzehnten nicht auf die Welt gekommen. Noch heute zehren wir von den technologischen Durchbrüchen des Kalten Krieges. Das iPhone ist ein „Best of“ der Sprunginnovationen vor 1989.

Wenn die Investitionen in Innovation Früchte tragen, ist ein optimistisches Szenario vorstellbar. Die System- und Technologiekonkurrenz zwischen dem Westen und China kann helfen, radikale Innovationen hervorzubringen, die alle Welt gut gebrauchen kann: in der Biomedizin, bei Klimatechnologien, für die Nahrungsmittelsicherheit. Ein fruchtbarer geopolitischer Innovationswettbewerb könnte dann in etwa so aussehen: Staaten oder „Staatenclubs“ unterstützen „long-shot”-Projekte, die für kommerzielle Unternehmen kaum zu stemmen sind. Am Ziel des Wettrennens stehen Quantencomputer, Alternativen zu Silizium-basierten Chips, der Fusions-Energie-Durchbruch oder gar neue Gerätekategorien wie der Memristor. Die Innovationen werden von Tech-Unternehmen in der ganzen Welt in Märkte für die ganze Welt ausentwickelt. Aus staatlicher Innovationspolitik, getrieben vom Systemwettbewerb, wird ein Mehrsummenspiel für alle. 

Natürlich ist auch eine dystopische Variante gut vorstellbar: Wir verschwenden Geld, um Technologien doppelt zu entwickeln, die sich kostengünstiger im globalen Verbund herstellen ließen; wir kippen geopolitischen Sand in die globale Innovationsmaschine. Auch hierfür gibt es Indizien. Als Reaktion auf die amerikanischen Chip-Sanktionen verknappt China zurzeit die Rohstoffe für die Batterieentwicklung und -produktion. Der Westen muss in geopolitische Technologieresilienz investieren. Damit verteuert und verlangsamt sich die Energiewende.

Die politisch zentrale Frage lautet also: Wie kann die Welt unter den Bedingungen des zweiten Kalten Kriegs zu einer Form der Zusammenarbeit zurückfinden, die Innovations- und Wettbewerbforscher „Coopetion“ nennen? Gemeint ist damit eine konstruktive Mischung aus „cooperation“ (Zusammenarbeit) und „competition“ (Wettbewerb). Für den kooperativen Teil müssten vor allem Technologiefelder und strategische Rohstoffe identifiziert werden, in denen ein „Sanktionswaffenstillstand“ gilt. Hierzu zählen sämtliche Greentech-Innovationen, denn am Kampf gegen den Klimawandel haben der Westen und China das gleiche Interesse. Hierunter fallen aber auch die Kernfusion und das Geoengineering.

Darüber hinaus sollten Bereiche identifiziert werden, in denen Grundlagenforschung gemeinsam stattfinden kann – zum Beispiel bei der Entwicklung antiviraler Medikamente oder von Wirkstoffen gegen omniresistente Keime. Wie schwierig dies ist, hat die Covid-Pandemie gezeigt, in der sogar Impfstoffe geopolitisiert wurden. Das darf sich nicht wiederholen. Hierfür braucht es eine große Initiative für Innovationsdiplomatie. Im ersten Kalten Krieg ist es mit klassischer Diplomatie gelungen, zunächst Nichtverbreitungsabkommen von Atomtechnologie zu schließen und Abrüstungsverhandlungen in Gang zu setzen. Im Kalten Tech-Krieg brauchen wir ähnliche Mechanismen. Ein Verzicht auf Technologie-Sanktionen, die vor allem zivile Entwicklungen verlangsamen, wäre der erste wichtige Schritt. 

Sollte die Techdiplomatie gelingen, nehmen vielleicht bald auch wieder chinesische Chipentwickler offiziell an der Superrechner-WM teil. Es wäre dann nicht einmal schlimm, wenn sie gewinnen. Auch ihre Berechnungen werden den technischen Fortschritt voranbringen. Und Amerikaner und Europäer hätten einen Grund mehr, einen noch etwas besseren Rechner zu bauen. 

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